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27.04.2024, 04:04 Uhr

Rechtsschutz

Volle Abschläge trotz 45 Versicherungsjahren!

  • 30.10.2020
  • Aktuelles

Neumann ist 1960 geboren und frisch 60 geworden. Gefühlt ist er schon 50 Jahre berufstätig. Seine Rentenauskunft besagt, er kann mit 63 Jahren mit 12 Prozent Abschlag in Rente gehen oder abschlagsfrei mit 64 Jahren und 4 Monaten. Wie erläutern, woher hier die große Differenz kommt.

Recht so! Rechtstipp DGB Rechtsschutz

Altersrente für langjährig Versicherte - 35 Versicherungsjahre

Für die Altersrente für langjährig Versicherte benötigt Neumann 35 Versicherungsjahre. Die Voraussetzung erfüllt er locker. Die stufenweise Anhebung der Regelaltersgrenze erfolgt in Zweimonats-Schritten. Also kann Neumann seine volle Altersrente nicht erst mit 67, sondern mit 66 Jahren und 4 Monaten erhalten.
 
Diese Zeit ist entscheidend für die Berechnung der Abschläge. Jeder Monat, der vor dem normalen Rentenbeginn liegt, kostet 0,3 Prozent Abschlag. Diese Abschläge bleiben nicht nur bis zur normalen Altersrente, sondern sein restliches Leben lang. Wenn Neumann mit 63 Jahren in Rente gehen will, hätte er bei dieser Rente einen Abschlag von 12 Prozent in Kauf zu nehmen (40 Monate x 0,03 % = 12 %).
 

Sonderregelung für besonders langjährig Versicherte  - 45 Versicherungsjahre

Diese Rente wird umgangssprachlich auch „Rente mit 63“ genannt. Sie wurde eingeführt zur Belohnung von Arbeitnehmern, die ganz langjährig das Rentensystem finanziert haben. Auch hier kann nur wer vor 1953 geboren ist, die Rente tatsächlich mit 63 Jahren abschlagsfrei erhalten. Mit jedem Geburtsjahr darüber wird die Altersgrenze um jeweils 2 Monate stufenweise angehoben bis sie für 1964 Geborene zu einer Rente mit 65 wird.
 
Neumann hat die geforderten 45 Versicherungsjahre und kann daher mit 64 Jahren und 4 Monaten abschlagsfrei diese Rente erhalten.

Rentenauskunft: volle Abschläge bei Rente mit 63

Wieso volle Abschläge, fragt sich Neumann. Er muss doch nur 1 Jahr und 4 Monate, also 16 Monate überbrücken. Das ergibt einen Abschlag von 4,8 Prozent, denkt er. Die Rentenauskunft besagt aber, dass er 12 Prozent Abschlag hat, wenn er mit 63 in Rente gehen möchte. 
 
Neumann erwartet eine Rente von 1.600 € brutto. Ob der Abschlag 12 Prozent oder 4,8 Prozent beträgt, macht einen riesen Unterschied. Und das für immer.

Höhe der Abschläge kann gerichtlich überprüft werden

Kann er die Rente mit 63 beantragen und sich dann gegen die Höhe der Abschläge wehren? Im Prinzip schon, nur haben das schon mehrere erfolglos gemacht.
 
Einige Arbeitnehmer*innen hatten sich mit ihrem jeweiligen Arbeitgeber auf einen Altersteilzeitvertrag geeinigt. Dabei handelt es sich um einen befristeten Vertrag, der zum vereinbarten Ende abläuft. Geschlossen waren diese Verträge auf den Zeitpunkt, an dem sie 63 Jahre alt wurden.

Während der Laufzeit der Verträge gab die gesetzliche Neuregelung für sie die Perspektive, ein paar Monate später ohne Abschläge in Rente zu gehen. Sie beantragten die Rente ab 63, mussten die vollen Abschläge hinnehmen und wehrten sich gerichtlich dagegen.
 

Abschlagsregelung betrifft konkrete Rentenart

Leider hat das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 17.6.2020  - Az. B 5 R 2/19) genau wie die Vorinstanzen die Klagen abgewiesen.

Die Kläger*innen waren der Auffassung, dass zumindest in geringerem Maße - also wie von Neumann berechnet nur 0,3 Prozent für jeden Monat, in dem zu früh Rente bezogen wurde - die Rente zu kürzen war.
 
Das BSG hielt eine solche Auslegung des Gesetzes für nicht möglich. Es führte aus: Ob und um welche Zahl von Kalendermonaten eine Rente wegen Alters iS des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst a SGB VI "vorzeitig" in Anspruch genommen wird, bestimmt sich nach der Differenz zwischen der Regelaltersgrenze für die konkret in Anspruch genommene Altersrentenart und dem tatsächlichen Alter des Versicherten bei Beginn der für diese Rentenart vorgesehenen "vorzeitige(n) Inanspruchnahme" mit einem niedrigeren Lebensalter. Die Altersgrenzen anderer, für einen Versicherten erst nach dem tatsächlichen Rentenbeginn in Betracht kommender Rentenarten sind ohne Belang“.

Das bedeutet, die Abschlagsregelungen gelten jeweils strikt für die Rentenart, die in Anspruch genommen wird.
 

Neumann muss sich entscheiden

Neumann überlegt, ob er weitere 16 Monate arbeiten soll. Es geht ja nicht nur um die Abschläge. Seine Rente erhöht sich auch bei jedem weiteren Monat der Beschäftigung. Im Moment verdient er etwa 2.600 € netto. Die Rente minus Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung macht ca. 1.500 netto aus. Und er hat noch eine kleine Betriebsrente von 100 €, hätte also über den Daumen 1.600 € netto zum Leben.
 
Neumann möchte nicht voll arbeiten, bis er die 64 Jahre und 4 Monate erreicht. Andererseits sieht er es auch nicht ein, die vollen Abschläge für diesen Zeitraum hinzunehmen.
 

Teilzeitvereinbarung mit dem Arbeitgeber

Er schlägt seinem Arbeitgeber vor, ihn 16 Monate in Teilzeit zu beschäftigen. Sein Vorschlag: Er kommt nur noch drei volle Tage die Woche, oder, er arbeitet ein paar Monate voll, bekommt aber Teilzeitvergütung und wird die Restzeit freigestellt.
 
Endlich mal ein Arbeitnehmer, der mitdenkt, freut sich der Chef. Er dankt Neumann für seinen Vorschlag und kann dann natürlich auch besser planen, wenn er weiß, wann Neumann in Rente geht. Er lässt die Lohnbuchhaltung einmal Probeabrechnungen machen und bietet Neumann die Drei-Tage Lösung an.
 

Arbeitsverträge enthalten Beendigungsklauseln bei Rentenbezug

Viele Arbeitgeber haben Klauseln in Arbeitsverträge aufnehmen lassen, nach denen die Beschäftigten gar keine Kündigung aussprechen, sondern einfach nur den Rentenbescheid vorlegen müssen. Das Arbeitsverhältnis endet zu diesem Zeitpunkt.


Hintergrund für diese Klauseln war sicherlich, zu verhindern, dass an sich Rentenberechtigte weiterarbeiten. Nicht bedacht wurde aber, dass sich dies in einen Nachteil verwandeln kann. 


Neumann hat auch so eine Klausel in seinem Arbeitsvertrag. Wenn der Chef eine Teilzeitlösung nicht mitmacht oder man ihm in der Zeit nach seinem 63. Geburtstag sonst wie bei der Arbeit auf den Geist geht, macht er sich auf zum Rentenamt. Das er dann von einem Tag auf den anderen den Rentenbescheid zückt, hat Neumann schon so für sich entschieden.

 

Quelle: DGB Rechtsschutz, 20. Oktober 2020

 

 

 


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